Sonntag, 7. Februar 2010
Hartz IV im (medialen) Alltag
Es ist ja bekanntlich so, dass, wer von etwas „betroffen“ ist, die Umwelt viel gezielter beobachtet und Dinge wahrnimmt, die ihm vorher nie aufgefallen sind. Um ein simples aber anschauliches Beispiel zu nennen: Wer sich ein silbernes Auto kauft, wird fortan verwundert sein über die bis dato unbemerkte Vielzahl silberner Fahrzeuge im Straßenverkehr. Dieses Phänomen kennt sicher jeder von uns; es lässt sich auch auf das Thema von *leerstelle** beziehen: Seitdem ich mit der Materie Hartz IV in Berührung gekommen bin, habe ich den Eindruck, dass das Thema einfach „in aller Munde“ ist. Ob in der Zeitung, im Radio, Fernsehen oder Internet: Jeder hat – wie ich – seinen Senf dazuzugeben. Manchmal ist dieser Senf überaus humorvoll, z.B. wenn Florian Illies seinen persönlichen „Held der Agenda 2010“ kürt: http://www.zeit.de/2010/02/Gesellschaft-02.
Zu anderen medialen Gesprächsanlässen möchte man sich dennoch gern gepflegt an den Kopf fassen – z.B. wenn Frau Von der Leyen tatsächlich eine Umbenennung von Hartz IV in Erwägung zieht. Nicht dass ich besondere ökonomische Kenntnisse hätte, aber allein der verwaltungstechnische Kostenaufwand scheint mir unverantwortlich. Aber kommen wir zum interessanten Part dieser einzigartigen Idee: Vielerorts ist man seit Bekanntwerden auf der Suche nach einem neuen Namen für das Kind im Brunnen: „Leygabe“ fand ich wortspielerisch überaus kreativ, „Armutsbeschleunigungsgesetz (ABG I-IV)“ klingt auf jeden Fall schön administrativ, aber es kommen auch ziemlich abwertende Vorschläge wie „Sklavenfutter“ oder „Looserprämie“. An letzterem Fakt zeigt sich auch, dass das Problem nicht der Name, sondern die Sache ist. Es wäre wohl angebracht, sich mit dem krankenden Image des Arbeitslosen an sich auseinanderzusetzen anstatt nur die gesellschaftlichen Symptome zu bekämpfen.
Als Arbeitssuchende mit eher guter Perspektive (weil jung und Akademikerin) bin ich doch irritiert von den befremdlichen Reaktionen, die ein „Outing“ als Empfänger von Hartz IV hervorrufen kann. Dabei müsste doch den meisten Menschen angesichts der aus der Krise resultierenden wirtschaftlichen Lage bewusst sein, dass die Jobs nicht unbedingt im Dutzend vergeben werden. Anstatt es pragmatisch zu sehen, nach dem Motto „...von irgendwas musst du in der Überbrückungsphase ja leben!“ sind auch gute Bekannte regelrecht schockiert, wenn der Begriff Hartz IV fällt. Dem gemeinen Arbeitslosen hilft da nur noch der Versuch einer lässigen Umschreibung seiner misslichen Lage Marke „ich gönn mir grad eine Auszeit, um die Perspektiven zu checken“ oder etwas wie „ich hab zur Zeit ein paar Projekte und Ideen in der Mache, s’ist aber noch nichts spruchreif“. Was noch hilft: Echter Glaube an das eigene Potenzial!

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Richtig. In der Unterstellung des selbstverschuldeten Zustands liegt die negative Aufladung von Hartz IV, denn Hartz IV kann nur "sein", wer faul, blöd oder kriminell ist. In unserer Leistungsgesellschaft ist das für viele ein einfacher Glaubenssatz. Dieser muss auch nicht hinterfragt werden, gibt er doch Anlass den unbekannten Leistungsempfänger mit gutem Recht zu verachten. Viele vergessen wie schnell es gehen kann, auf diese staatliche Grundsicherung angewiesen zu sein. Ich glaube die Zahl der Empfänger von Hartz IV wird steigen. Vor allem die junge Generation, egal ob ungelernt oder studiert, sollte Hartz IV als das begreifen was es ist: eine staatliche Hilfe für das nötigste, die sich an alle richtet, die sie benötigen und nicht an bestimmte Charaktereigenschaften gekoppelt ist.

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